Dr. Gerhard Roge
Merkmalskatalog
für industriezeitliche Glasgefäße, insbesondere Glasflaschen
Beim Betrachten einer Glasflasche stellt man fest, dass sie eine Reihe von Merkmalen aufweist, mit deren Hilfe sie genauer charakterisiert werden kann. Einige dieser Merkmale, z.B. die äußere Form oder die Farbe des Glases, fallen sofort ins Auge, während andere erst bei genauerem Hinsehen ersichtlich sind.
Bei vorindustriell gefertigten Flaschen sind die spezifische Form, die Beschaffenheit des Flaschenbodens, die Mündungsgestaltung und die Blastechnik wesentliche Merkmale. Jede Flasche ist ein Unikat. Demgegenüber sind die späteren, industriell gefertigten Flaschen von der äußeren Formgebung und besonders vom Volumen her zunehmend standardisiert.
Flaschen bestehen von unten nach oben betrachtet aus dem Boden, dem Flaschenkörper, der Schulter, dem Hals und der Mündung, an / auf deren Ende (Mündungsrand oder Lippe) sich der Verschluss befindet. Systematische Arbeiten über die Zuordnung von Glasflaschen aufgrund ihrer äußeren Merkmale sind nicht sehr zahlreich. Hervorzuheben ist die „Historic Glass Bottle Identification & Information Website“ der Society for Historical Archeology (SHA) – https://sha.org/bottle. Diese Seite enthält umfangreiche Informationen aller Art über Glasflaschen, die in den USA seit ca. 1800 (-1950er Jahre) hergestellt wurden. Außerdem enthält die Website „Geschichte der Prägeflasche“ (Die Geschichte der Prägeflasche (http://www.koelsch-net.de/) wertvolle Hinweise. Weitere Informationen zu einzelnen Aspekten finden sich z.B. im Glasmarkenkatalog von C. Hartmann, in Ausstellungskatalogen und verschiedenen Firmenschriften und -websites.
Aus diesem Grunde startete in der Stadtarchäologie Dortmund ein Projekt, die Objekte der häufigsten Fundgattung des 19. Und 20. Jahrhunderts, nämlich halb- und vollmechanisch hergestellte Glasflaschen, zu erfassen, zeitlich zu differenzieren und die Produktionsmerkmale zu beschreiben (Roge, 2013). Anknüpfend an diese Arbeiten wird im Folgenden ein tabellarischer Merkmalskatalog für Glasflaschen vorgestellt. /p>
Herstellung von Glasflaschen
Bis zum 18. Jh. wurden Flaschen von den Glasmachern frei vor der Glasmacherpfeife geblasen. Nach dem freien Vorformen der Flasche erfolgte die endgültige Formgebung in einer Form, dem Model. Um 1730 wurde erstmals eine Form zum Flaschenblasen verwendet. Die ersten Formen waren einteilig und aus Holz. Wegen ihrer begrenzten Haltbarkeit wurden sie später durch Metallformen ersetzt.
Schon 1802 brachte der Brite Charles Chubsee eine dreiteilige eiserne Form mit beweglicher Schulter auf den Markt. 1821 erhielt Henry Ricketts ein Patent für eine dreiteilige Metallform mit einem unteren feststehenden Teil und zwei darüber befindlichen aufklappbaren Teilen für die Ausgestaltung des Schulterbereichs der Flasche, welcher über einen Trittmechanismus geöffnet und geschlossen werden konnte. Auf diese Weise konnten erstmals Flaschen produziert werden, die von einheitlicher Größe, Gestalt und Fassungsvermögen waren und in die Schriftzüge eingeprägt werden konnten. Hierfür wurde die gewünschte Beschriftung als spiegelbildliche Vertiefung in das entsprechende Teil der Form eingearbeitet. Die im Rickett-Verfahren zwischen 1821 und 1853 hergestellten Flaschen tragen auf dem Boden den Schriftzug „H. Ricketts & Co. Glassworks Bristol“ und im Schulterbereich oftmals „Patent“.
Später im 19. Jh. wurden die dreiteiligen Formen durch zweiteilige aufklappbare Formen ersetzt. Diese bestanden aus zwei „längs-geteilten halben Flaschen“. Hierdurch entstanden auch die typischen zwei sich gegenüberliegenden Formnähte. Bis zur Erfindung der vollautomatischen Flaschenproduktion Anfang des 20. Jh. wurde der Mündungsteil der Flaschen (Flaschenkopf) separat gefertigt und auf den Flaschenkörper aufgesetzt.
Formen des Flaschenverschlusses und spezielle Flaschenformen
Zum Verschließen wurde die Flaschenmündung ursprünglich mit Leder oder Tuch umwickelt und mit einem Bindfaden verschnürt. Diese Verschlussart war bei Salbengefäßen aus Glas oder Keramik noch lange (bis Ende des 19. Jh.) gebräuchlich (so genannte Zubindehäfen). Bei Flaschen begann sich ab dem 16./17.Jh allmählich der Korkstopfen als Verschluss durchzusetzen. Dieser war aber für kohlensäurehaltige Getränke, wie Mineralwasser und Bier weniger geeignet. Um dem Innendruck standhalten zu können, musste der Korkstopfen mit einem Bindfaden oder mit einem Drahtgeflecht, wie es heute noch bei Sektflaschen üblich ist, gesichert werden. Seit ca. 1870 wurden spezielle Verschlussformen entwickelt (z. B. Bügelverschluss, Kronkorken, Knickerflasche, Schraubverschluss), die zumeist auch heute noch verwendet werden.
Etwa ab Mitte des 19. Jh. wurden für bestimmte Inhalte (Produkte) speziell geformte Flaschen entwickelt, z.B. Coca-Cola-Flasche, Maggi-Flasche, Parfümflaschen (4711-Flasche). Diese Flaschen haben einen hohen Wiedererkennungswert und wurden / werden somit werbewirksam für das darin enthaltene Produkt eingesetzt („Werbeflaschen“). Außerdem gab es spezielle Flaschen für bestimmte Arzneimittel, die wegen ihrer Giftigkeit schon durch die Form ihrer Gefäße auffallen sollten. Auch die Glasfarbe wurde /wird als Erkennungsmerkmal für bestimmte Arzneimittel benutzt.